Moskau am Abend des 10.10.2015
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Erfahrungen mit dem Fernunterricht


Es war eine kurzfristige Entscheidung der Schulbehörden. Am Mittwoch, dem 11. März 2020 erhielten wir die Ankündigung unseres Direktors, wir sollten uns auf einen eventuellen Fernunterricht ab Montag einstellen. Am Freitag wurde es definitiv, dass die Schüler ab 16.3.20 zu Hause blieben.

Vor über einem Jahr wurde die digitale Bildung in den Unterrichtsstoff aller Fächer aufgenommen. Jeder Lehrer, der elektronische Medien mit den Schülern einsetzte, sollte es dem Klassenvorstand der jeweiligen Klasse melden. Es wurde ein Curriculum für alle Schulstufen erstellt und die Themen digitaler Bildung vom Starten des Computers über den Einsatz von Programmen bis zum Programmieren von 3D-Druckern und Robotern aufgenommen. Für jeden Schüler wurde ein Konto auf MS Office 365 eingerichtet. Die Sinnhaftigkeit dieses neuen Schwerpunkts wurde uns erst durch das Schließen der Schulen vor zwei Monaten deutlich vor Augen geführt.

Im Jänner 2020 fand in der Russischen Botschaftsschule in Wien ein Seminar über die Moskauer Elektronische Schule statt. Vertreter der Moskauer Schulbehörden präsentierten den umfangreichen Vorrat an vorbereiteten Unterrichtsstunden verschiedenster Fächer. Die Datenbank hat ein doppeltes Ziel: den Unterricht mit Whiteboards im Klassenraum und das selbstständige Lernen der Schüler in Zeiten der Quarantäne, z.B. aufgrund des frostigen Wetters. Die Plattform ist auch für Teilnehmer aus anderen Ländern offen, nur das Punktesystem für Schüler bei Quiz kann man nicht nützen.

Ich hatte schon vor, die Moskauer Elektronische Schule zu nützen, als die Schulen in Österreich geschlossen wurden. Gerade rechtzeitig konnte ich meinen Schülern die Passwörter für learningapps.org zur Verfügung stellen, ein Programm, das ich über das Moskauer Seminar kennengelernt hatte. Dort begann ich, Übungen für meine beiden Fächer Religion und Russisch zu erstellen : z.B. Lückentexte in Kombination mit Videos aus Youtube oder mit selbsterstellten Videos. Man kann überprüfen, ob die Schüler die Aufgaben gemacht haben. Im Religionsunterricht erstellen Schüler der 5. Schulstufe sogar selbstständig Multiple-Choice-Übungen auf learningapps. Das ist ein völlig neuer Zugang.  Parallel dazu begann ich mit dem online Unterricht in Russisch, wo eine regelmäßige Sprachpraxis von besonderer Bedeutung ist. Wir verwendeten erst Zoom, dann stiegen wir auf MS Teams um. Es war für die Schüler eine Vereinfachung, weil unser Direktor schließlich für die ganze Schule MS Teams als Kommunikationsmittel festlegte. Es brauchte für Lehrer und Schüler viel Zeit, um das Programm zu erlernen. Sehr hilfreich waren online Anleitungen und der Rat von Kollegen.  Manche Lehrer steigerten das Materialvolumen gegenüber dem herkömmlichen Unterricht, so dass sie die Schüler überforderten. Da musste ich in meinem Unterricht Rücksicht nehmen. 

Die Schüler beteiligten sich von Anfang an fleißig am Unterricht.
Als besondere Herausforderung im Unterricht stellte sich heraus, alle Schüler zu konzentrierter Mitarbeit zu motivieren. Es sollte außerdem nicht der Eindruck entstehen, dass sie durch technische Schwierigkeiten Zeit für das Russischlernen verlieren. Manche Schüler können ihr Mikrophon nicht einrichten, sie können nur zuhören. 

Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, Schüler persönlich aufzurufen, damit jeder ungefähr gleich viel Sprechzeit erhält. Schüler sollten immer wieder aktiv etwas machen, z.B. an Quiz, Umfragen teilnehmen. Das erfordert aber einen hohen Aufwand an Stundenvorbereitung, der nicht immer geleistet werden kann. MS Teams ermöglicht das Durchführen von Quiz und Umfragen, die zur Überprüfung des Gelernten geeignet sind. Dabei wird dem Lehrer die erreichte Punktezahl des Schülers übersichtlich gemeldet. Ein Nachteil ist, dass die Schüler nicht kyrillisch tippen können. Deshalb verpflichtete ich sie dazu, schrittweise auf einer Internetseite tippen zu lernen. 

Die Schüler müssen ihre Anwesenheit und die gemachten Hausübungen in eine gemeinsame Liste eintragen. Das Bildungsministerium gibt vor, dass in der Zeit des Fernunterrichts nur positive Leistungen zu werten sind und die schon eingetragenen Noten des ersten Semesters ein besonderes Gewicht haben. Ich verlange von den Schülern, alle Hausübungen nach der Periode des dislozierten Lernens nachzuholen. 

Eine besondere Schwierigkeit im Unterricht ist die Ablenkung der Schüler durch andere Programme und soziale Medien, so dass es vorkommen kann, dass nach der Lektüre eines Textes ein Schüler fragt, auf welcher Seite wir gerade im Buch lesen. Auch die  Orientierung im Programm mit mehreren Fenstern für mich als Lehrer – Videokonferenz, Anwesenheitsliste, Aufgabenübersicht, Besprechungsnotizen – erfordert hohe Konzentration. 

Ich bestehe darauf, dass Schüler in ihrem Heft mitschreiben, leite immer wieder dazu an, weil das Schreiben mit Stiften im Lernprozess das menschliche Gehirn anregt. Sie sehen in ihrem Programm die Notizen, die ich während der Videokonferenz anlege (Besprechungsnotizen). Für mich als Lehrer bietet MS Teams die Möglichkeit einer Autokorrektur für die Besprechungsnotizen. Man kann MS Teams auf Russisch umstellen.

Bei allen Möglichkeiten des dislozierten digitalen Unterrichts zeigt sich, dass der Lehrer im direkten Dialog mit den Schülern nicht ersetzt werden kann. Es fehlt der Gesichtsausdruck, der Blickkontakt, Humor ist schwerer vermittelbar – und vor allem: man kann leider nicht gemeinsam singen! Gerade russische Volkslieder, Gebete und Hymnen bereichern den Unterricht und motivieren Schüler und Lehrer gleichermaßen.

P. Sebastian Hacker OSB, Öffentliches Schottengymnasium der Benediktiner in Wien

veröffentlicht Mai 2020 durch das In- Service Teacher Training Center, Wodzisław Śląski, in:
BIULETYN METODYCZNY nr 2 (42) 2019/2020, 80-82

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