Eine Übersetzerin erzählt


Jekatherina (Katja) Lebedewa, Universität Heidelberg, Professorin für Übersetzung Russisch, erzählte von ihrer Begeisterung für literarisches Übersetzen. Sie konnte als Studentin in der DDR Bulat Okudžava kennen lernen und verfasste ihre Dissertation zum Thema „Komm Gitarre, mach mich frei. Russische Gitarrenlyrikin der Opposition. 22 hist.OA von 1916 bis 1988“ (Berlin 1992). Ihre Mutter war 1934 in der UdSSR geboren worden, nachdem ihre Eltern vor dem Nationalsozialismus 1934 emigriert waren. Ihr Großvater, der in Wien Medizin studiert hatte und in Moskau als Chirurg arbeitete, wurde 1941 vom NKWD (Vorläufer des KGB) erschossen, weil er in der Bibliothek mit verschiedenen Menschen in mehreren Sprachen gesprochen hatte. Lebedewas Vater war Leningrader.  

Okudžava verfasste vier Bücher, darunter ein Kinderbuch, von denen Lebedewa zwei übersetzt hat. Sie empfahl als Literatur:

Russische Liedermacher, Reclam, mit wörtlicher Übersetzung der Liedtexte (mit einem Nachwort von Lebedewa)

Wunderbare Abenteuer - Прелестные Приключения (übersetzt von Lebedewa, zweisprachig)

Okudschawa, Bulat: Mein Jahrhundert. Lieder und Gedichte

Okudžavas Anliegen war zu vermitteln, wie Menschen in Frieden zusammenleben können. Er reflektierte Kriegserfahrungen als 17-Jähriger an der Front und formulierte die Hoffnung, Krieg in Zukunft verhindern zu können. Er wirkte lange als Lehrer in Kaluga. Seine Lieder drücken Trauer über die schreckliche Erfahrungen des Krieges aus, die seine Zeitgenossen mit ihm teilten. Diese Lieder wurden Anfang der 1950er Jahre offiziell noch nicht akzeptiert, als die Siegesstimmung dominierte. 

Seine Eltern waren Boschewiki in hohen Funktionen gewesen und 1937 verhaftet worden, der Vater noch im selben Jahr erschossen. Die Mutter war 18 Jahre im Straflager und in Verbannung. Er sah sie erst wieder 1956, als politische Gefangene unter dem Generalsekretär der KPdSU Nikita Chruschtschow freigelassen wurden. 

Das Instrument des Autors, die Gitarre galt in den 1930er Jahren als Instrument der “Kleinbürger, Zigeuner und Gauner”. Okudžava durfte erstmals im Haus der Filmschaffenden Ende der 1950er Jahre mit seinem Instrument auftreten. 

In seinen Liedern drückte er die Familiengeschichten und Alltagserfahrungen der Menschen seiner Zeit aus. In diesem Sinn kann man verstehen, dass er den Arbat, die kleine Straße, nicht die Sowjetunion als seine „Heimat“ benannte. Die Auflage seiner Lieder mit den neuen Tonbandgeräten der 1960er Jahren erreichte Millionenhöhe. Die erste Schallplatte erschien erst 1976. Okudžava trat im Polytechnischen Museum in Moskau gemeinsam mit jungen Nachkriegsdichtern wie Jevtuschenko, Voznesenskij auf. „Die Tonbandgeräte durchbrachen das staatliche Schweigen über seine Lieder“, kommentierte ein Zeitgenosse, Pavel Antokol‘skij.

Bei seinen Liedern stammen Text, Melodie, Komposition und Vortrag vom selbem Autor. Damit begründete Okudžava ein neues Genre. Okudžava verschweigt nicht persönliche Fehler, Illusionen – ein Beispiel in der Erzählung über das erste Treffen mit seiner Mutter nach der Entlassung aus dem Lager, als er sie in einen „unpassenden“ Film einlud – und verbindet sie zeitweise mit einer humorvollen Note.

Erstaunlich mag wirken, dass seine Lieder bis heute gern gehört werden, obwohl sich die Gesellschaft in Russland geändert hat. Bekannt wurde Okudžava in Deutschland durch die Nachdichtung des Liedes „Ach die erste Liebe“.

Das Kinderbuch „Wunderbare Abenteuer“ entstand aus einer Korrespondenz Okudžavas mit seinem fünfjährigen Sohn, als jener in einem Schriftstellerhaus auf der Krim arbeitete. Darin kritisierte er die Konformität in der Gesellschaft: Die Freunde, die immer zusammenhalten, bewältigen die Probleme – wie in den Liedern des Autors (vgl. «давайте восклицать», «поднявший меч наш союз»). Dabei reflektiert er seine Generation der 1960er Jahre.

Die Übersetzung des Kinderbuches lag wegen fehlenden Interesses der Verlage nach dem Mauerfall 35 Jahre in der Schublade der Übersetzerin. Ein Verlag, der sowjetische Kinderbücher druckt, legte das Buch zum 100. Geburtstag des Autors wieder auf. Die Originalbriefe waren wegen Diebstahls verloren gegangen, berichtete die Witwe. Daraufhin restaurierte der Verlag ein verblichenes, in Israel erschienenes Exemplar mit Originalzeichnungen des Autors, welches der Autor für Lebedewa signiert hatte. Lebedewa berichtete exemplarisch über Herausforderungen der Übersetzung: Der Name des Helden Karud ist eine umgekehrte Schreibweise des Wortes „дурак» (Dummkopf), deshalb kreierte die Autorin die Bezeichnung „KummDopf“. Als Übersetzung für den Namen des Schafes zog die Autorin den Namen „von Hohenstein“ heran, weil das „skij“ am Ende des russischen Schafnamens auf eine adelige Herkunft hindeutete. Die Liebe des Schafes zu den Bergen kam für sie durch den Namen der Adeligen „von Hohenstein“ zum Ausdruck, die ihre Kollegin im Bereich вук Slawistik ist.

Nach dem Niederschlagen der Reformen in Prag 1968 durch sowjetische Panzer schrieb Okudžava 10 Jahre keine Lieder mehr, sondern Prosa. In einem seiner Romane beschreibt er die Flucht eines Liebespaares vor der Geheimpolizei des Zaren Nikolaus I. (er hatte sich geweigert, für den Zaren zu dienen, sie wäre für den Zaren auserkoren) bis in den Kaukausus, wobei die Spitzel die beiden entlaufen ließen, weil sie sie sympathisch fanden. In einem anderen Roman erzählt er über die Bespitzelung Tolstojs durch die Geheimpolizei, die sich wunderte, dass letzterer kein Terrorist, sondern ein Schriftsteller war. Die Romane reflektieren die Erfahrungen Okudžavas über Lebensgeschichten historischer Persönlichkeiten, die er anhand von Originaldokumenten studiert hatte.